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Deborah von Wartburg

Gefangen im Zug der unerbittlichen Fröhlichkeit

Die Figuren in William Kentridge’s «More sweetly play the dance» wirken verloren und gefangen. Trotzdem zeigen sie auf, welche Einflussnahme auf die Gemeinschaft mit der eigenen Existenz einhergeht.

Sobald die Dämmerung auf der Landiwiese Einzug hält, setzen sie sich in Bewegung: Eine Prozession, ein Zug aus Schatten, ein Marsch in immer nur eine Richtung. Scheppernde Maschinen, stolze Fahnenträger, ein Flugblattwerfer, ein Politiker, der eine Rede hält, eine Ballerina mit einem Gewehr in der Hand, eine kleine Person, die ihren eigenen Käfig trägt. Immer vorwärts, immer im Rhythmus. Die einen leichtfüssig, andere schwerfällig. Die Musik treibt sie an. Sie kommen aus der anonymen Dunkelheit und verschwinden am Ende der Leinwand wieder in ihr. Die Installation «More sweetly Play the Dance» ist Prozess und Stillstand gleichzeitig. Die einzelnen Figuren wiederholen auf ewig ihre eine Bewegung. Spielen die immer gleichen Rollen auf die immer gleiche Art. Gefangen in dem, was sie sind. Ohne Aussicht auf Veränderung. Und doch ändert sich etwas. Mit der Zeit treten Versehrte auf, Skelette, der Tod ist allgegenwärtig. Der Zug erzählt so viele Geschichten, dass das dreimalige Betrachten des ganzen Prozessionszyklus nicht ausreicht, sie alle aufzunehmen. Mit jeder neu auftretenden Person scheint sich der Sinn des Zuges und sein Schicksal zu verändern. Als ob ständig eine Chance, eine neue Möglichkeit oder eine Gefahr aufflammt, die sich dann aber doch dem alles verschluckenden Rhythmus fügt, der die Figuren gnadenlos vorwärts schiebt.

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Die schnellen tonleiterartigen Klänge bekommen mit zunehmender Wiederholung etwas Fatalistisches. Eine unerbittliche Fröhlichkeit, die keinen Raum lässt für Veränderung, nach derer die Figuren so sehr zu streben scheinen. Die volkstümlich anmutende Musik von Johannes Serekeho, die auch auf einem alten Jahrmarkt nicht unpassend erscheinen würde, verstärkt das morbide Gefühl, das die tanzenden Schatten schaffen. Die Schatten, von denen die Zuschauer*innen nicht wissen, wer sie wirft, wer da im Licht steht. Die Abhängigkeit von ihrem lichtverdrängenden Ersten lässt sie gefangen wirken. Unfrei. Das Licht haucht ihnen Leben ein, aber zwingt sie auch in die Dunkelheit. Das Licht definiert sie automatisch als Gegenstück seiner selbst.

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Die Installation von William Kentridge spielt aber nicht nur mit der determinierenden Beziehung von Licht und Schatten, sondern auch mit der von Individuum und Gruppe, beziehungsweise Bürger und Gesellschaft. Der Einzelne drängt – auch geschoben von der Umwelt – vorwärts, Wandel und Veränderung sind immer das Ziel. Auch ein Wandel der eigenen Identität. In Kentridges Prozession kann der Einzelne sich aber kaum verändern. Doch seine blosse Existenz, sein Auftauchen am linken Rand der Leinwand gibt ihm Macht über das Schicksal seiner Gemeinschaft. Sein Auftauchen lässt die Schatten links und rechts in einem neuen Bild erscheinen. Eine Gesellschaft muss sich in seiner Vorwärtsprozession zwingend ständig verändern, weil jedes darin neu auftauchende Individuum das Gesamtgefüge in Frage stellt und die Identität des Ganzen neu auslotet – auch wenn es über die eigene Identität manchmal nur wenig Macht hat. Selbst wenn die Einzelnen, wie Schatten den Lichtblocker, nur reproduzieren, was ihnen vorgelebt wird, weichen sie doch immer ab vom Original.

Halt, Stopp. Es stimmt nicht, dass alle Figuren immer nur nach vorne drängen. Der erste Schatten, ein Mensch in wallendem Gewand, bewegt sich in die gegensätzliche Richtung. Seitwärts herumwirbelnd eröffnet er das Spektakel. Geht zum Ausgangspunkt zurück und lässt den Zug von neuem beginnen. Nur, wenn Einzelne sich dem Vorwärtssog entziehen, innehalten und zurückblicken auf das, was war, wird die Veränderung des Ganzen sichtbar.